Juli 2009

13.07.2009

DESTATIS: Gefangenenzahlen in Deutschland

Bestand zu Ende März 2009

Unter
https://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/bpm.html.cms.cBroker.cls?cmspath=struktur,vollanzeige.csp&ID=1024197

finden sich die Veröffentlichung des Bestands der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten am 31. März 2009, die aktualisiert im Publikationsservice des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden erschienen ist.

Die Tabellen enthalten den Bestand der Gefangenen und Verwahrten in den deutschen Justizvollzugsanstalten nach ihrer Unterbringung auf Haftplätzen des geschlossenen und offenen Vollzuges, jeweils zu den Stichtagen 31. März, 31. August und 30. November eines Jahres (seit dem 31.03.2003).

Diese Veröffentlichung kann kostenlos aus dem Publikationsservice des Statistischen Bundesamtes herunter geladen werden. Nach Bestätigung der allgemeinen Geschäftsbedingungen bzw. Copyrightbestimmungen kann die ausgewählte Version des Fachserienhefts alternativ vom Kunden abgespeichert oder online eingesehen werden.
 
Weitere Daten der Rechtspflegestatistik im Internetangebot des StBA stehen unter folgender URL zur Verfügung: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Navigation/Statistiken/Rechtspflege/Rechtspflege.psml

Veröffentlichungen der Rechtspflegestatistik im Publikationsservice finden sich unter folgender URL:
http://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/n0000.csp?treeid=24000

(Quelle für diesen Text: Mitteilung des StatBA – DESTATIS – vom 10.7.2009)


 

07.07.2009

Bundesverfassungsgericht hält Lebenslänglich für einen heranwachsenden Verurteilten für verfassungsgemäß

Verfassungsbeschwerde gegen Versagung einer Strafmilderung nach § 106 JGG nicht erfolgreich

(Link zum vollständigen Beschluss vom 13. Mai 2009: 2 BvR 247/09 )

Der im November 1975 geborene Beschwerdeführer wurde vom Landgericht Rostock im Januar 2008 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Landgericht machte von der Möglichkeit, gegen den Beschwerdeführer als zur Tatzeit Heranwachsenden gemäß § 106 JGG anstelle der lebenslangen Freiheitsstrafe auf eine zeitige Freiheitsstrafe von zehn bis fünfzehn Jahren zu erkennen, keinen Gebrauch. In den Urteilsgründen führte es dazu aus, das Gericht habe die etwa noch vorhandene Entwicklungsfähigkeit des Beschwerdeführers und seine mögliche (Wieder-)Eingliederung in die Gesellschaft gegen Sicherungs- und Vergeltungsbelange der Allgemeinheit abzuwägen gehabt. Die Kammer gehe davon aus, dass die Reifeentwicklung des Beschwerdeführers zur Tatzeit bereits abgeschlossen gewesen sei, und habe insoweit für eine fakultative Strafmilderung keinen Raum gesehen.
In der Hauptverhandlung wandte sich eine der beisitzenden Richterinnen zu einer Schöffin um und sagte mit einer wegwerfenden Handbewegung "unglaublich", als ein Zeuge äußerte, er sei nachts mit dem Beschwerdeführer von Rostock nach Bremen gefahren, um dort Tee zu trinken. Den daraufhin gestellten Befangenheitsantrag gegen die Beisitzerin lehnte das Landgericht ab. Die Revision gegen das Urteil, die sich auch gegen die Ablehnung dieses Befangenheitsantrags richtete, war erfolglos.

Die dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts nicht zur Entscheidung angenommen. Die Strafmilderung nach § 106 JGG hat nach dem Willen des Gesetzgebers Ausnahmecharakter. Bei der Entscheidung sollen die etwa noch vorhandene Entwicklungsfähigkeit des Angeklagten und seine mögliche (Wieder-) Eingliederung in die Gesellschaft gegen Sicherungs- und Vergeltungsbelange der Allgemeinheit abgewogen werden, ohne dass der Sühnegedanke gegenüber den Belangen der Wiedereingliederung überbewertet werden darf. Obgleich das Landgericht bei der Begründung seiner Entscheidung die Persönlichkeit des Beschwerdeführers zum Tatzeitpunkt in den Vordergrund gestellt hat, ist die konkrete Entscheidung nicht zu beanstanden. Die Ausführungen zur abgeschlossenen Reifeentwicklung zum Zeitpunkt der Tat lassen erkennen, dass die Kammer aufgrund der Persönlichkeit des Beschwerdeführers auch keinen erheblichen Raum für eine noch positive Formbarkeit durch den zeitigen Strafvollzug sah. In Verbindung mit dem aufgrund der Umstände des Falles besonders schwerwiegenden Sühnegedanken, den auch der Bundesgerichtshof in der Revisionsentscheidung hervorgehoben hat, ist das Ergebnis dieser Abwägung nicht zu beanstanden.

Durch die Ablehnung des Befangenheitsantrags wird der Beschwerdeführer auch nicht in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt. Zwar garantiert Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass der Rechtssuchende im Einzelfall vor einem Richter steht, der unabhängig und unparteilich ist und der die Gewähr für Neutralität und Distanz gegenüber den Verfahrensbeteiligten bietet. Allerdings führt nicht schon jede fehlerhafte Rechtsanwendung zu einem Verfassungsverstoß, sondern dies ist nur der Fall, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsantrags auf willkürlichen Erwägungen beruht. Diese lassen die hier vorliegenden Entscheidungen nicht erkennen, wenn der Richter nur über eine einzelne Äußerung des Zeugen spontan Unmut äußert. Einmalige Unmutsäußerungen aus nachvollziehbarem Anlass ergeben keinen Befangenheitsgrund, wenn sie nicht in überzogener Form erfolgen und bei verständiger Würdigung nicht befürchten lassen, sie seien Ausdruck einer in der Sache voreingenommenen Haltung. Der Reaktion der Beisitzerin war nicht zu entnehmen, dass sie sich bei der Bewertung der Zeugenaussage bereits zum Nachteil des Beschwerdeführers festgelegt hätte. Auch diese weitere Würdigung ist frei von Willkür und deshalb unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden.

(Quelle: Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 69/2009 vom 24. Juni 2009)


 

02.07.2009

Bundesverfassungsgericht hält auch T-Shirts für verbotene rechtsextreme Propaganda

Verfassungsbeschwerde gegen Verurteilung wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erfolglos

(Link zum vollständigen Beschluss vom 18. Mai 2009: 2 BvR 2202/08 )

Der Beschwerdeführer ist Mitglied der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Vor einer Parteiversammlung der NPD baute er am Veranstaltungsort Verstärkeranlagen auf. Dabei trug er ein T-Shirt, welches vorne wie folgt bedruckt war:

"Sohn Frankens, die Jugend stolz/ die Fahnen hoch".

Die erste Zeile war im Schrifttyp Arial, die beiden anderen Zeilen in Frakturschrift gedruckt. Wegen dieses Sachverhalts verhängte das Amtsgericht Forchheim wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen eine Geldstrafe. Das Gericht
begründete die Verurteilung nach § 86a StGB mit der Ähnlichkeit des Schriftzugs zum Horst-Wessel-Lied, das ein gängiges nationalsozialistisches Kennzeichen darstelle. Die gegen diese
Entscheidung eingelegten Rechtsmittel waren erfolglos.

Die 2. Kammer des Zweiten Senats nahm die auf eine Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes gestützte Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet zwar den Gesetzgeber, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Gegen diesen Grundsatz haben die Gerichte bei der Auslegung und Anwendung des § 86a StGB jedoch nicht verstoßen.

Die Wortkombination "die Fahnen hoch" - bis auf die Verwendung des Plurals - entspricht dem Titel und dem Textbeginn des Horst-Wessel-Liedes. Die Feststellung der Gerichte im Ausgangsverfahren, dass es sich dabei um ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation handelt, ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Durch die Verwendung des Plurals besteht eine entsprechende Ähnlichkeit mit Titel und Text des Horst-Wessel-Liedes.
Diese Auslegung übersteigt nicht den am Schutzzweck der Norm orientierten Wortsinn von § 86a Abs. 2 Satz 2 StGB, der in der Abwehr der symbolhaft durch die Verwendung eines Kennzeichens ausgedrückten Wiederbelebung bestimmter Organisationen sowie der symbolhaft gekennzeichneten Wiederbelebung der von solchen Organisationen verfolgten Bestrebungen liegt. Es soll bereits jeder Anschein vermieden werden, in der Bundesrepublik Deutschland gebe es eine rechtsstaatswidrige politische Entwicklung in dem Sinne, dass
verfassungsfeindliche Bestrebungen in der durch das Kennzeichen symbolisierten Richtung geduldet würden.

Der Umstand, dass lediglich der Titel und der Anfangstext des Horst-Wessel-Liedes abgedruckt wurden, steht aus verfassungsrechtlicher Sicht im konkreten Fall einer Verurteilung nicht entgegen. Die Norm des § 86a StGB bezweckt die Vermeidung der Wiederbelebung nationalsozialistischer Tendenzen infolge des Gebrauchs entsprechend assoziierungsgeeigneter Symbole. Diese Gefahr besteht aber auch dann, wenn der Titel sowie derart markante Textteile der parteiamtlichen Hymne der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) wiedergegeben werden. Titel und Textteil haben Wiedererkennungs- und Identifikationsfunktion. Ein um die Existenz und die Hintergründe des Horst-Wessel-Liedes wissender Beobachter wird auch die kurze Textpassage in einen Gesamtkontext einordnen können, so dass - nach einer Gesamtbetrachtung - die Gefahr der Wiederbelebung nationalsozialistischer Bestrebungen besteht.

(Quelle: Bundesverfassungsgericht - Pressestelle - Pressemitteilung Nr. 70/2009 vom 25. Juni 2009)


 

01.07.2009

Bundesverfassungsgericht betont Meinungsfreiheit auch gegenüber Justizorgangen:

Äußerung "Durchgeknallter Staatsanwalt" stellt nicht zwingend eine Beleidigung dar

(Link zum vollständigen Beschluss vom 12. Mai 2009: 1 BvR 2272/04)

Der Beschwerdeführer ist Journalist, Verleger, Publizist und Mitherausgeber einer großen deutschen Zeitung. Im. Juni 2003 strahlte der Fernsehsender "n-tv" die Sendung "Talk in Berlin" aus, an der sich der Beschwerdeführer als Diskussionsteilnehmer beteiligte. Die Sendung befasste sich mit dem seinerzeit in den Medien viel beachteten Ermittlungsverfahren gegen den damaligen Vizepräsidenten des Zentralrates der Juden, Rechtsanwalt und Moderator Dr. F., der in den Verdacht des unerlaubten Umgangs mit Betäubungsmitteln geraten war. Im Rahmen der Sendung äußerte der Beschwerdeführer u.a.:

"Und ich bin ganz sicher, dass dieser staatsanwaltliche, man muss wirklich sagen: Skandal eines ganz offenkundig, ich sag`s ganz offen, durchgeknallten Staatsanwaltes, der hier in Berlin einen außerordentlich schlechten Ruf hat, der vor einem Jahr vom Dienst suspendiert worden ist, der zum ersten Mal überhaupt wieder tätig wird. Dieser Skandal wird zweifellos dazu führen, dass sich die hiesige Justizbehörde und die ihr zugeordnete Staatsanwaltschaft fragen muss, ob man auf diese Art und Weise gegen Privatpersonen vorgehen kann."

Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte den Beschwerdeführer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 300,00 €. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass die Bezeichnung als "durchgeknallt" umgangssprachlich in dem Sinne von "verrückt" oder "durchgedreht" verstanden werde. Hierin liege aber eine Schmähkritik, die allein auf die Diffamierung des Betroffenen ziele und deshalb generell unzulässig sei. Die Revision gegen das Urteil verwarf das Kammergericht auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft ohne weitere Begründung.

Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts hat die Entscheidungen aufgehoben, weil sie das Grundrecht des Beschwerdeführers auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes verletzen. Die Gerichte haben die Bezeichnung als "durchgeknallt" zu Unrecht als generell unzulässige Schmähkritik angesehen und deshalb die hier gebotene Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Geschädigten und der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers nicht vorgenommen. Weil der Begriff der Schmähkritik eine besonders gravierende Ehrverletzung bezeichnet, bei der noch nicht einmal mehr eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit stattfindet, sondern die Meinungsfreiheit absolut verdrängt wird, ist dieser Begriff eng zu definieren. Selbst eine für sich genommen herabsetzende Äußerung wird zu einer Schmähkritik erst dann, wenn nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Auch wenn der
Bezeichnung als "durchgeknallt" als solcher ehrverletzender Gehalt zukommt, muss bei Beurteilung einer schmähenden Wirkung der Zusammenhang berücksichtigt werden, in dem die Äußerung fällt.

Der Kontext der Äußerung im Zusammenhang mit der Kritik an der Informationspolitik der zuständigen Staatsanwaltschaft spricht hier gegen die Annahme, dass der Beschwerdeführer dem Betroffenen pauschal die geistige Gesundheit habe absprechen und ihn damit ungeachtet seines Sachanliegens habe diffamieren wollen. Vielmehr liegt es aus Sicht des unvoreingenommenen Publikums nahe, dass er auch durch diese Begriffswahl Kritik an dem Umgang des Generalstaatsanwaltes mit den Persönlichkeitsrechten eines Beschuldigten üben wollte. Die Herauslösung des Begriffes "durchgeknallt" aus diesem Kontext verstellt den Blick darauf, dass die umstrittene Äußerung im Zusammenhang mit einer Sachauseinandersetzung um die Ausübung staatlicher Strafverfolgungsbefugnisse fiel. In diesem Kontext kann der verwendeten Begriffswahl aber nicht jeglicher Sachbezug abgesprochen werden, da sie - wenn auch in polemischer und in herabsetzender Form - durchaus die Sachaussage transportieren kann, dass ein als verantwortlich angesehener Staatsanwalt im Zuge der Strafverfolgungstätigkeit die gebotene Zurückhaltung und Rücksichtnahme auf das Persönlichkeitsrecht eines Beschuldigten in unsachgemäßer und übertriebener Weise habe vermissen lassen.

Die Bezeichnung als "durchgeknallt" weist auch nicht einen derart schwerwiegenden diffamierenden Gehalt auf, dass der Ausdruck in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erschiene und daher unabhängig von seinem konkreten Kontext stets als persönlich diffamierende Schmähung aufgefasst werden müsste, wie dies bei der Verwendung besonders schwerwiegender Schimpfwörter - etwa aus der Fäkalsprache - der Fall sein kann.

Teil der von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG umfassten Freiheit, seine Meinung in selbstbestimmter Form zum Ausdruck zu bringen, ist auch, dass der Äußernde von ihm als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für die zu kritisierende Art der Machtausübung angreifen kann, ohne befürchten zu müssen, dass die personenbezogenen Elemente seiner Äußerung aus diesem Kontext herausgelöst betrachtet werden und als solche die Grundlage für eine einschneidende gerichtliche Sanktion bilden. Die Personalisierung eines Sachanliegens in anklagender Form ist in solch unterschiedlicher Form und Intensität möglich, dass es nicht gerechtfertigt wäre, die Meinungsfreiheit in diesen Fällen wie bei Schmähungen stets und ungeachtet der weiteren Umstände zurücktreten zu lassen. Vielmehr ist es erforderlich, in die gebotene Abwägung einzustellen, ob der Betreffende als private Person oder sein öffentliches Wirken mit seinen weitreichenden gesellschaftlichen Folgen Gegenstand der Äußerung ist und welche Rückwirkungen auf die persönliche Integrität des Betroffenen von der Äußerung ausgehen.

(Quelle: Bundesverfassungsgericht - Pressestelle -. Pressemitteilung Nr. 71/2009 vom 26. Juni 2009)